OLG München: Zeitung durfte das „Sylt-Video“ nicht unverpixelt verbreiten
Ein durch die Medien als „Sylt-Video“ bekannter Clip sorgte um Pfingsten 2024 aufgrund fremdenfeindlicher Äußerungen bundesweit für Schlagzeilen. Darin zu sehen war, wie feiernde, junge Menschen zum Lied „L`amour toujours“ von Gigi d`Agostine die Parole „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“ gegrölt haben. Die Szene wurde im Sylter Club „Pony“ aufgenommen. Dabei waren die Parolen zu diesem Song kein Einzelfall, auch in anderen Städten kam es zu ähnlichen Vorfällen. Die Sachverhalte warfen neben der öffentlichen Diskussion auch rechtliche Fragen auf. Die Staatsanwaltschaft Flensburg ermittelte wegen des Verdachtes der Volksverhetzung gemäß § 130 StGB. Das Verfahren gegen zwei Männer und einer Frau wurde allerdings eingestellt. Dies wurde damit begründet, dass die gesungenen Parolen den Straftatbestand der Volksverhetzung nicht erfüllten. Es stellten sich dabei nicht nur strafrechtliche, sondern auch zivilrechtliche Fragen. Das Video wurde nämlich ohne Verpixelung veröffentlicht, sodass die Personen darauf vollständig zu erkennen waren. Diese wurden auch schnell identifiziert. Für die Betroffenen ging das mit beachtlichen Folgen einher. In einem Fall verlor eine an der Szene Beteiligte etwa ihren Arbeitsplatz. Fraglich war dabei, ob die Personen einfach ohne Verpixelung gezeigt werden durften. Diese Frage hat das OLG München nun in Bezug auf die Bild-Zeitung beantwortet.
Gegenstand der Entscheidung war eine Berichterstattung der Bild-Zeitung über den Vorfall auf Sylt. In diesem Rahmen wurde das oben beschriebene Video sowie Fotos und Screenshots veröffentlicht. Unter den Personen auf dem Bild war auch eine junge Frau zu sehen. In ihrem Fall wurde nicht nur das Bild, sondern auch ihr Vorname mitveröffentlicht, den die BILD-Zeitung in Erfahrung gebracht hatte. Dagegen wehrte sich die Klägerin mit einer Klage vor dem Landgericht München I (LG München I). Das LG München I gab erst der einstweiligen Verfügung der Klägerin und dann der Klage statt. Die Revision der Bild-Zeitung verwarf nun das Oberlandesgericht München (OLG München), das dementsprechend die erstinstanzliche Entscheidung des Landgerichtes bestätigte (Beschl. v. 21.05.2025, Az. 21.05.2025, Az. 18 U 842/25 Pre e.).
Das OLG München bezieht sich dabei auf den Unterlassungsanspruch aus §§ 1004 Abs. 1, 2 analog, 823 Abs. 1 und 2 BGB i.V.m. 22, 23 KunstUrhG, Art, 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Dieser untersagt es der Bild-Zeitung, die Bilder unverpixelt weiter zu verbreiten sowie ihren Vornamen zu nennen.
§ 22, 23 Abs. 1 KUG regeln als einfachgesetzliche Ausformung des Allgemeinen Persönlichkeitsrecht die öffentliche Verbreitung von Bildern, die Personen zeigen. Grundsätzlich wird für die Verbreitung eines Bildnisses die Einwilligung der Abgebildeten verlangt (§ 22 S. 1 KunstUrhG). § 23 KunstUrhG nennt Ausnahmen vom Erfordernis der Einwilligung. Das „Sylt-Video“ könnte dabei als zeitgeschichtliches Ereignis unter die Ausnahme des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG fallen. Die rassistischen Parolen hatten eine bundesweite Debatte ausgelöst, das Video könnte insoweit ein „Bildnis der Zeitgeschichte“ sein, womit es auf die Einwilligung grundsätzlich nicht ankäme. Hierfür muss abgewogen werden, ob das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten aus Artikel 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, oder die Pressefreiheit des Herausgebers aus Artikel 5 Abs. 1 GG, überwiegt. Für die Abwägung gilt, dass der Persönlichkeitsschutz umso mehr wiegt, je geringer der Informationsgehalt eines Berichtes bzw. Fotos ist (abgestuftes Schutzkonzept). Es wird also das Informationsinteresse auf der Seite des Herausgebers sowie der Schutz der Persönlichkeit und der Privatsphäre auf der Seite der abgebildeten Person betrachtet und anhand des Sachverhaltes abgewogen, welches Interesse den Vorrang im Einzelfall genießt. Dabei bestätigte das OLG in diesem Fall die Zugunsten der Klägerin ausgefallene Abwägung des LG, welche sich dabei auf die Anklageschrift der Anwältin der Klägerin bezogen hat. Die Berichterstattung der BILD habe für die Klägerin „Prangerwirkung“, weil sie als einzelne Personen aus der Masse herausgegriffen wurde und dadurch schwerwiegend Auswirkungen auf ihre Persönlichkeitsentfaltung entstünden. Die Klägerin erlebe durch das Verbreiten des Videos konkrete soziale Ausgrenzung. Vor allem machte das OLG nochmal deutlich, dass die an der im Video aufgenommenen Szene Beteiligten nicht gleichgesetzt werden könnten. Dieser Unterschied zeigt sich an einer anderen Entscheidung des LG München I, die sich ebenfalls auf das „Sylt-Video“ bezieht. So durfte im Rahmen der Berichterstattung ein junger Mann, der auf dem Video den Hitler-Gruß zeigt, auch unverpixelt dargestellt werden (LG München I, Endurteil vom 18.07.2024 – 26 O 719/124).
Insgesamt zeigt das Urteil des OLG München, dass das in ständiger Rechtsprechung vom BGH entwickelte abgestufte Schutzkonzept differenziert auf den Einzelfall anzuwenden ist. Dabei wird die Bedeutung des Persönlichkeitsrechts der Person, die von der Berichterstattung betroffen ist. Zugleich wird aber die jeweilige Handlung der Person in den Mittelpunkt gestellt, sodass es im Rahmen der Abwägung jeweils auf die Details ankommt. Dies zeigte sich besonders stark darin, dass die Beteiligten an ein und derselben Szene unterschiedlich behandelt werden müssen.
Quellen:
Zum Urteil bezüglich des Hitlergrußes zum Nachlesen: https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-GRURRS-B-2024-N-43332?hl=true
Zum Urteil bezüglich der Bild-Zeitung:
Zur Prangerwirkung: https://www.ratgeberrecht.eu/aktuell/prangerwirkung/