OLG Frankfurt (Main): Plattformen müssen auch sinngleiche Äußerungen löschen

Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat entschieden, dass Plattformbetreiber nach Kenntnis rechtswidrig geposteter Inhalte auch sinn- bzw. kerngleiche Posts löschen müssen.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 25.01.2024 – 16 U 65/22

Mit seiner Entscheidung bestätigt das OLG den eingeklagten Unterlassungsanspruch der Grünen-Politikerin Renate Künast. Die Bundestagsabgeordnete hatte sich gegen ein auf Facebook gepostetes sogenanntes „Meme“ gewandt, das sie mit Bild, Namen und der als Zitat gekennzeichneten Äußerung „Integration fängt damit an, dass Sie als Deutscher mal türkisch lernen!“ zeigt. Eine solche Äußerung hatte es tatsächlich von Künast nie gegeben. Das Landgericht (LG) Frankfurt am Main verpflichtete den Facebook-Konzern Meta dazu, die öffentliche Zugänglichmachung identischer oder kerngleicher Inhalte dieses Falschzitats zu unterlassen und verurteile Meta zur Zahlung einer Geldentschädigung von 10.000 € (vgl. unseren Bericht von April 2022).

Die von Meta eingelegte Berufung hatte zwar hinsichtlich der Verurteilung zur Zahlung der Geldentschädigung, nicht aber im Hinblick auf die Unterlassungsverpflichtung, Erfolg. So stelle das im „Meme“ enthaltene Falschzitat einen rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht Künasts dar. Die Klägerin sei dadurch in ihrem Recht am eigenen Wort verletzt. Als mittelbar verantwortliche Störerin hafte die Plattformbetreiberin auch dafür, weitere identische oder kern- bzw. sinngleiche Posts zum Ursprungspost zu löschen. Die Beklagte habe durch anwaltliches Schreiben konkrete URLs zu den angegriffenen Posts erhalten und somit unmittelbar Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt. Dies habe eine Prüf- und Verhaltenspflicht in Bezug auf die Existenz sinngleicher Inhalte ausgelöst. Sie seien ebenfalls zu löschen gewesen.

Zwar treffe Meta nach der E-Commerce-Richtlinie keine allgemeine Überwachungs- und aktive Nachforschungspflicht hinsichtlich rechtswidriger Inhalte. Bei konkreter Kenntnis einer Rechtsverletzung sei die Plattformbetreiberin aber verpflichtet, künftige Störungen zu verhindern, was auch gelte, wenn betreffende Äußerungen – ganz oder teilweise – Gegenstand erneuter Äußerungen würden. Für Umfang und Zumutbarkeit der Nachforschungspflicht verwiesen die Frankfurter Richter auf die Rechtsprechung des EuGH, die einen Rückgriff auf „automatisierte Techniken und Mittel“ fordert. Dem stehe auch nicht entgegen, dass es in Fällen der Wiedergabe des „Meme“ mit eigenen Zusätzen einer Sinndeutung bedürfe, sodass nicht rein automatisiert vorgegangen werden könne. Der Senat fordere keine – europarechtswidrige – autonome rechtliche Prüfung des Inhalts derjenigen Posts, die sich vom Ursprungspost lösten. Die Plattformbetreiberin müsse lediglich prüfen, ob die Unterschiede aufgrund der abweichenden Gestaltung gegenüber dem „Meme“ nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Empfängers bewirkten, dass erkennbar werde, ob ein Falschzitat vorliege. Eine menschlich-händische Einzelfallbewertung sei in Kombination mit technischen Verfahren automatisch erkannter Inhalte zumutbar. Außerdem könne mit KI-Systemen eine weitere automatische Vorfilterung erfolgen.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Host-Provider eine Prüf- und Verhaltenspflicht in Bezug auf sinngleiche Inhalte treffe, hat das Oberlandesgericht die Revision zugelassen.

Quellen

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Löschverpflichtung von rechtswidrig geposteten Inhalten, Pressemitteilung vom 25.01.2024, abrufbar unter: https://ordentliche-gerichtsbarkeit.hessen.de/presse/loeschverpflichtung-von-rechtswidrig-geposteten-inhalten

Legal Tribune Online, Renate Künast gewinnt gegen Facebook, Meldung vom 25.01.2024, abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/olg-ffm-16u6522-facebook-meta-kuenast-renate-meme-unterlassung-plattform/