BVerfG: Verfassungsbeschwerden der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erfolgreich

Mit dem am 5. August 2021 veröffentlichten Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass Sachsen-Anhalt durch die unterlassene Zustimmung zum Ersten Medienänderungsstaatsvertrag mit der darin vorgesehenen Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 86 Eurocent, die Rundfunkfreiheit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten verletzt hat. Mit Wirkung zum 20. Juli 2021 gilt nunmehr vorläufig die Bestimmung des Art. 1 des Ersten Medienänderungsstaatsvertrages, der die Erhöhung des Rundfunkbeitrags von 17,50 € auf 18,36 € normiert.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 20. Juli 2021 – 1 BvR 2756/20, 1 BvR 2777/20, 1 BvR 2775/20

Dem Beschluss des BVerfG war die unterlassene Zustimmung des Landes Sachsen-Anhalt vorausgegangen. Im Dezember zog der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, den Gesetzesentwurf zur Erhöhung des Rundfunkbeitrags vor der geplanten Abstimmung im Landtag zurück, um den Erhalt der sogenannten „Kenia-Koalition“ zu sichern. Zuvor hatte sich bereits abgezeichnet, dass seine Partei im Gegensatz zu den Koalitionspartnern, SPD und Grüne, dem Gesetzesentwurf nicht zuzustimmen beabsichtigte. Da gegenwärtig für das Inkrafttreten der Regelungen des Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrages über Beitragsanpassungen die Zustimmung aller 16 Bundesländer erforderlich ist, wurde die Erhöhung damit blockiert (vgl. unsere Meldung). Die Anträge der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hatte das BVerfG bereits Ende Dezember abgelehnt (vgl. unsere Meldung).

Das BVerfG stellt in seinem Beschluss fest, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten dadurch in ihrer Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, speziell in der Ausprägung der funktionsgerechten Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, verletzt seien. Gegenstand der Verfassungsbeschwerde könne auch ein Unterlassen sein, da aus der Finanzgewährleistungspflicht eine Handlungspflicht der Länder resultiere. Es obliege der Ländergesamtheit als föderaler Verantwortungsgemeinschaft, den grundrechtlichen Finanzierungsanspruch der Rundfunkanstalten zu erfüllen. Jedes Land, das zugleich Mitverantwortungsträger sei, treffe folglich eine Handlungspflicht zur Zustimmung. Diese Pflicht resultiere aus dem besonderen Umstand, dass „die Länder die Gesetzgebungskompetenz für die Rundfunkfinanzierung besitzen, aber in dem gegenwärtigen System der Organisation und Finanzierung des Rundfunks nur eine länderübergreifende Regelung den Grundrechtsschutz aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verwirklichen kann.“ Der Gesetzgeber habe für eine prozedurale Absicherung des Gebots der Trennung der medienpolitischen Konkretisierung des Rundfunkauftrags und der Beitragsfestsetzung Sorge zu tragen.

Erfüllt ein Land seine Mitgewährleistungspflicht nicht und werde dadurch die Erfüllung des grundrechtlichen Finanzierungsanspruchs unmöglich, läge, laut BVerfG, bereits dadurch eine Verletzung der Rundfunkfreiheit vor. Die länderübergreifende Finanzierung könne ohne eine Zustimmung aller Länder nicht gewährleistet werden. Auch hinsichtlich der Rechtfertigung einer Abweichung sei mithin auf alle Länder abzustellen. Es sei demnach im gegenwärtigen System erforderlich, dass alle Länder einvernehmlich von der Bedarfsfeststellung der KEF abweichen. Beabsichtigt ein Land die Abweichung müsse es daher das Einvernehmen aller Länder herbeiführen. Im vorliegenden Fall fehle es überdies an einer nachprüfbaren, tragfähigen Begründung. Weder das Vorbringen des vergeblichen Bemühens um eine Strukturreform noch die nicht hinreichend benannten „Folgen der Corona-Pandemie“ begründeten eine Rechtfertigung der Abweichung.

Im Rahmen des Beschlusses ging das BVerfG zudem auf die wachsende Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ein. Diesem komme die Aufgabe zu, „durch authentische, sorgfältig recherchierte Informationen, die Fakten und Meinungen auseinanderhalten, die Wirklichkeit nicht verzerrt darzustellen und das Sensationelle nicht in den Vordergrund zu rücken, vielmehr ein vielfaltssicherndes und Orientierungshilfe bietendes Gegengewicht zu bilden“, was angesichts des vermehrten komplexen Informationsaufkommens, der einseitigen Darstellungen, Filterblasen, Fake News und Deep Fakes an Bedeutung gewinne.

Auf Grundlage des § 35 BVerfGG sieht das BVerfG die vorläufige Geltung des Art. 1 des Medienänderungsstaatsvertrages vor, bis eine staatsvertragliche Neuregelung der Länder erlassen wird. Mit Wirkung vom 20. Juli 2021 gelte demnach die darin enthaltene Anpassung des Rundfunkbeitrags auf 18,36 €. Von einer rückwirkenden Erhöhung zum 1. Januar 2021 sieht das BVerfG jedoch ab. Diese erfordere zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Stellungnahme der KEF und einen neuen Änderungsstaatsvertrag mit Zustimmung aller Länder. Im Rahmen der nächsten Beitragsanpassung sei die Notwendigkeit einer Mehrausstattung der Rundfunkanstalten aber vom Beitragsgesetzgeber zu berücksichtigen.

Quellen:

BVerfG, Beschluss vom 20.07.2021 – 1 BvR 2756/20, 1 BvR 2777/20, 1 BvR 2775/20, abrufbar unter: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2021/07/rs20210720_1bvr275620.html

BVerfG, Pressemitteilung Nr. 69/2021 vom 5.08.2021, abrufbar unter: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-069.html