Schlussanträge des Generalanwalts: Art. 17 der DSM-Richtlinie mit Meinungs- und Informationsfreiheit vereinbar

Der EuGH-Generalanwalt Saugmandsgaard Øe schlägt in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache C-401/19 vor, die Vereinbarkeit von Art. 17 der Richtlinie 2019/790 (kurz DSM-Richtlinie) mit der Freiheit der Meinungsäußerung festzustellen und die Klage von Polen auf Nichtigkeitserklärung der Bestimmungen abzuweisen.

Schlussanträge des EuGH-Generalanwalts in der Rechtssache C-401/19

Nach dem umstrittenen Art. 17 der Richtlinie über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt (RL 2019/790) haften Anbieter von Online-Sharing-Diensten unmittelbar, wenn Schutzgegenstände von den Nutzer:innen ihrer Dienste rechtswidrig hochgeladen werden. Eine Haftungsbefreiung ist jedoch möglich, wenn die Dienste die von den Nutzer:innen hochgeladenen Inhalte aktiv überwachen, um das Hochladen solcher Schutzgegenstände zu verhindern, die die Rechteinhaber:innen nicht über diese Dienste zugänglich machen wollen. In vielen Fällen erfolgt diese vorbeugende Überwachung mittels Filterungen durch Tools zur automatischen Inhaltserkennung.

Polen hat bereits im Mai 2019 Klage auf Nichtigkeitserklärung von Art. 17 der Richtlinie beim EuGH mit der Begründung erhoben, die Bestimmungen verletzen die in der Charta der Grundrechte der EU verbürgte Freiheit der Meinungsäußerung sowie die Informationsfreiheit. Der EuGH hat sich im Folgenden mit der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Artikels zu befassen.

Nach Auffassung des Generalanwalts liegt ein Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung aus Art. 11 der EU-Grundrechte-Charta zwar vor, dieser erfülle aber die Anforderungen von Art. 52 Abs. 1 der Charta. Insbesondere werde der Wesensgehalt der Meinungs- und Informationsfreiheit geachtet. Der Generalanwalt stellt in diesem Zusammenhang heraus, dass die Behörden Online-Sharing-Dienste nicht dazu verpflichten können, die geteilten oder übertragenen Inhalte generell nach unzulässigen oder unerwünschten Informationen jeglicher Art zu durchsuchen. Möglich und zulässig sei es hingegen, mittels Unionsgesetzgebung bestimmten Online-Vermittlern bestimmte Maßnahmen zur Überwachung ganz bestimmter unzulässiger Informationen vorzuschreiben.

Saugmandsgaard Øe weist darauf hin, dass Art. 17 der Richtlinie die von der Union anerkannte und dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung verfolgt, einen wirksamen Schutz des geistigen Eigentums sicherzustellen. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit sei zu beachten, dass dem Unionsgesetzgeber ein weites Ermessen dahingehend zustehe, die kollidierenden Schutzgüter miteinander in Einklang zu bringen. Mithin habe der Gesetzgeber die Entscheidung treffen können, bestimmten Anbietern Überwachungspflichten aufzuerlegen.

Nicht unberücksichtigt ließ der Generalanwalt die bestehende Gefahr des „Overblockings“ zulässiger Informationen. Das Risiko, dass durch Ausnahmen und Beschränkungen des Urheberrechts gedeckte Nutzungen von Schutzgegenständen systematisch verhindert werden, werde durch Tools zur automatischen Inhaltserkennung, die den konkreten Wiedergabe-Kontext nicht erkennen können, noch gesteigert. Der Unionsgesetzgeber stand daher in der Pflicht, ausreichende Schutzvorkehrungen zur Minimierung dieser Gefahr zu treffen.

Dieser Verpflichtung sei der Gesetzgeber nach Auffassung von Saugmandsgaard Øe nachgekommen. Es sei zum einen für Nutzer:innen das Recht begründet worden, zulässige Nutzungen der Schutzgegenstände vorzunehmen. Zum anderen sei durch den Unionsgesetzgeber betont worden, dass Art. 17 keine Pflicht zur allgemeinen Überwachung durch Online-Sharing-Diensteanbieter auferlegen darf. Infolgedessen müssen Anbieter von Online-Sharing-Diensten lediglich diejenigen Inhalte ausfindig machen und sperren, die mit den von den Rechteinhaber:innen benannten Schutzgegenständen „identisch“ sind oder diesen „entsprechen“. Die Unzulässigkeit der Inhalte müsste mithin als offenkundig anzusehen sein. Für den Fall, dass eine Ausnahme oder Beschränkung des Urheberrechts berechtigterweise in Betracht kommen könnte („zweifelhafte Situationen“), dürften die betreffenden Inhalte nicht präventiv gesperrt werden. Vielmehr müssten die Entfernungs- oder Sperrmaßnahmen durch begründeten Hinweis der Rechteinhaber:innen beantragt oder sogar ein Gericht angerufen werden.

Die Schlussanträge sind für den Europäischen Gerichtshof nicht bindend. Es bleibt daher abzuwarten, wie der Gerichtshof schlussendlich entscheiden wird.

 

Quellen:

EuGH, Pressemitteilung Nr.138/21 vom 15.07.2021, Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-401/19, abrufbar unter: https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2021-07/cp210138de.pdf

Beck aktuell, Meldung vom 15.07.2021, Generalanwalt: Haftung von Online-Sharing-Diensten mit Meinungsfreiheit vereinbar, abrufbar unter: https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/generalanwalt-haftung-von-online-sharing-diensten-mit-meinungsfreiheit-vereinbar