Rückblick: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk der Zukunft – Auftrag, Entwicklung, Reformkonzepte

Über die aktuellen Bestrebungen zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks diskutierten am 19. Oktober 2021 im Rahmen der Veranstaltungsreihe Mainz Media Forum: Heike Raab, Staatssekretärin und Bevollmächtigte des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund und für Europa und Medien, Prof. Dr. Christian von Coelln, Universität Köln, Prof. Dr. Kai Gniffke, Intendant des SWR, Claus Grewenig, RTL Deutschland und Prof. Dr. Jürgen Kühling, Universität Regensburg. Die digitale Veranstaltung wurde moderiert von Prof. Dr. Matthias Cornils, Direktor des Mainzer Medieninstituts. Neben den Reformvorschlägen der Länder zur Gestaltung des Auftrags wurde der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, Möglichkeiten und Risiken der Flexibilisierung und das Finanzierungsverfahren thematisiert.

Nach der Begrüßung der über 90 Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch Prof. Cornils, gab Staatssekretärin Heike Raab zunächst einen Überblick über den Stand der Beratungen zum 2. Medienänderungsstaatsvertrag, mit dem bei der bevorstehenden Sitzung der Rundfunkkommission die Stärkung barrierefreier Angebote auf den Weg gebracht werden soll. Zudem erläuterte sie das zweistufige Vorgehen der Länder bei der weiteren Reform. Erst stehen Auftrag und Struktur der Anstalten im Fokus und im nächsten Schritt die Finanzierung. Ein Schwerpunkt der ersten Phase sei die digitale Transformation, da die Quantität der Angebote im Internet aber nicht unbedingt die Qualität und die Vielfalt wachse. Zudem bestehe für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Anspruch alle zu erreichen, sodass verschiedene Distributionswege genutzt werden müssen. Raab begrüßte das Vorgehen der Anstalten hinsichtlich der Vernetzung der Mediatheken. Für diesen Bereich der Plattformstrategie wollen die Länder Experimentierräume eröffnen, um neue Formate und Konzepte auszuprobieren. Von besonderer Bedeutung sei auch die Akzeptanz der Bevölkerung. Diese solle durch mehr Kostentransparenz nach außen bestärkt werden, sodass die Konsumentinnen und Konsumenten erfahren können, was etwa der Weltspiegel oder eine Folge Terra X kostet. Bezüglich des weiteren Verfahrens bei der Fortentwicklung des MStV betonte Raab, dass die Länder auf eine breite Partizipation setzen und Anregungen von Institutionen und aus der Gesellschaft aufnehmen wollen.

Das zweistufige Vorgehen der Länder wurde von Prof. Kühling als sinnvoll bewertet. Es bestehe hinsichtlich der Stärkung und Fokussierung des Auftrags Eilbedürftigkeit. Zudem gehörten zur Strukturreform auch Kooperationen, was sich wiederum auf die Finanzierung auswirke, da Kooperationen Einsparpotenziale eröffneten.

Sodann wurde der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts wegen der gescheiterten Erhöhung des Rundfunkbeitrags thematisiert. SWR-Intendant Gniffke sieht das Urteil als Ansporn im Hinblick auf die digitale Transformation, da das BVerfG die Aufgabe der Einordnung und Verifizierung von Informationen betont habe. Prof. von Coelln erkennt in dem Beschluss vor allem eine Bestätigung der bisherigen Dogmatik. Aus Sicht privater Sender wies Claus Grewenig darauf hin, dass vor allem der positive Gestaltungsspielraum der Länder herausgearbeitet wurde und dass das BVerfG betont hat, dass das Mediensystem im Gesamten zu betrachten sei. Es müsse berücksichtigt werden, so Grewenig, dass jede Änderung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch auf die privaten Medien ausstrahle.

Für Raab ist der Beschluss mit Blick auf die Ausgestaltung des Auftrags relevant. Denn das BVerfG habe klargestellt, dass zwar ein Fokus auf Bildung, Kultur und Information liege, aber auch der Bereich Unterhaltung zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk gehöre. Zudem wies sie darauf hin, dass die vom BVerfG betonte föderale Verantwortungsgemeinschaft auch bedeute, dass die Länder nicht nur im Rahmen des MStV dazu verpflichtet sind zu reagieren, sondern dass sich dies auch in den einzelnen Staatsverträgen der Anstalten widerspiegeln muss.

Gniffke sieht den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nun vor der Aufgabe, die „Zwickmühle“ zu meistern, einerseits das bisherige Programm fortzusetzen und andererseits zusätzliche Aufgaben, wie die Stärkung des demokratischen Diskurses, zu bewältigen. Der Markenkern gerade der ARD-Anstalten liege in der Regionalität und der Möglichkeit trotz regionaler Ausrichtung auch international gut aufgestellt zu sein. Das Programm müsse unterschiedliche Genre und dabei auch Unterhaltung abdecken. Eine der Stärken begreift er darin, dass dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Möglichkeit gegeben sei, auch Programme zu senden, die zwar nachgefragt werden, aber für andere Anbieter nicht refinanzierbar wären. In diesem Kontext wies er noch einmal auf die Relevanz des Vertrauens der Bevölkerung hin, dass die Breite des Publikums beachtet werden müsse und es wichtig sei, dass die Beiträge keine konkrete Haltung wiedergeben. Diesen Aspekt bestätigte auch von Coelln: Es sei wichtig, dass eine strikte Trennung von Berichterstattung und Meinung fokussiert wird. Außerdem müsse die Qualitätssicherung diesbezüglich gestärkt werden.

Im Hinblick auf die Ausgestaltung des Auftrags wies Kühling darauf hin, dass die unterschiedlichen Grundrechtspositionen der verschiedenen Anbieter beachtet werden müssen. Zudem führte er aus, dass ein breites Programmangebot, das auch Unterhaltung beinhalte, wichtig sei. Jedoch sollte eine Mehrwertorientierung die Grundlage bilden, sodass gerade im Bereich der Unterhaltung auf Qualität gesetzt werde. Mithilfe von hochwertiger Aufbereitung gesellschaftlich relevanter Themen könnten sich die öffentlich-rechtlichen Anstalten klarer von privaten Anbietern abgrenzen. In diesem Kontext verwies er auch auf die Rolle der Gremien und deren Kontrollfunktion hinsichtlich der Einhaltung des Auftrags. Hier sieht Kühling jedoch Defizite und regte die Möglichkeit eines externen Gremiums, gegebenenfalls unter Einbeziehung von Wettbewerbern, an.

Auch Grewenig forderte eine stärkere Abgrenzung öffentlich-rechtlicher von privaten Angeboten. Zwar könne auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk Unterhaltung bieten, jedoch müssten Überlappungen mit privaten Angeboten vermieden werden. Hier sei es wesentlich, dass die Rollenverteilung gelebt wird und ein Austausch mit privaten Anbietern über die Wettbewerbsauswirkungen stattfindet.

Zur Flexibilisierung des Auftrags und der stärkeren Verantwortung von Anstalten und Gremien führte Staatssekretärin Raab aus, dass die Politik die Leitplanken setzen möchte, innerhalb derer die Sender ihr Programm frei gestalten können. Im Gegensatz zu der vorher sehr starren Beauftragung sollen so Räume ermöglicht werden, um Menschen mit Inhalten zu erreichen. Gniffke begrüßt die Möglichkeit der flexibleren Beauftragung.

Mit Blick auf die Zukunft wurden auch die Optionen für das Beitragsfestsetzungsverfahren besprochen. von Coelln sieht verschiedene verfassungsrechtlich akzeptable Möglichkeiten, darunter die Indexierung oder die Festsetzung des Beitrags per Rechtsverordnung. Alle Möglichkeiten hätten ihre Vor- und Nachteile. Jedoch zweifelte er an, ob es überhaupt möglich sei, einen Konsens unter den Ländern für eine Änderung zu finden. Grewenig steht einer Indexierung je nach Ausgestaltung skeptisch gegenüber. Er gab zu bedenken, dass beispielsweise eine regelmäßige Beitragssteigerung Auswirkungen auf den Wettbewerb habe, da die Wettbewerber ein solches Wachstum selbst generieren müssen. Er befürwortete daher ein Verfahren, in dem regelmäßig im Länderkreis über die Angemessenheit des Beitrags diskutiert wird.

Im Anschluss bestand die Möglichkeit Stellung zu nehmen oder Fragen zu stellen. Prof. Dr. Dieter Dörr (Universität Mainz) wies auf die verfassungs- und europarechtlichen Probleme der Indexierung als Möglichkeit der Beitragsfestsetzung hin. Eine Einordnung als verfassungswidriges Verfahren bezweifelt von Coelln, der die Äußerung des BVerfG im Rundfunkurteil von 2007 als klare Aussage für die rechtliche Zulässigkeit ansieht. Peter Weber (ZDF, Justiziar) wies in diesem Kontext darauf hin, dass auch bei einer Indexierung eine regelmäßige Prüfung der Angepasstheit an den Auftrag erfolgen müsse und dabei die funktionierenden Strukturen der KEF weiterhin genutzt werden sollten.

Dörr sprach auch die europarechtlichen Grenzen der Flexibilisierung des Auftrags an, da dieser hinreichend bestimmt sein müsse, um den Forderungen der Europäischen Kommission zu genügen. Hierzu merkte Kühling an, dass es der Kommission vor allem um einen Mehrwert gehe und wenn Programme abgebaut würden und eine Schärfung des Auftrags auch prozedural abgesichert erfolge, dürfte auch die Kommission dieses Vorgehen positiv einschätzen. Bezüglich einer prozeduralen Absicherung der Flexibilisierung betonte Grewenig, dass ein transparentes Verfahren nötig sei, bei dem die Auswirkungen auf den Markt und die privaten Wettbewerber stets berücksichtigt werden.

Hinsichtlich der Nutzung von Plattformen warf Prof. Dr. Michael Grünberger (Universität Bayreuth) die Frage auf, wie stark diese genutzt werden sollten, da die Nutzung die Marktposition der Plattformen festigt. Gniffke gab dazu an, dass Intermediäre hilfreich seien, um Inhalte zu verbreiten. Die Anstalten müssten ihre Inhalte dort platzieren, wo Menschen nach Informationen suchen. Langfristig sei es aber das Ziel, Nutzerinnen und Nutzer mit Inhalten zu überzeugen und damit die eigenen Plattformen attraktiv zu machen.

Peter Weber griff noch einmal die Frage der Auftragsdefinition auf und erläuterte, dass der Auftrag nicht in Abhängigkeit zu privaten Angeboten formuliert werden sollte. Zwar seien die marktlichen Auswirkungen relevant und müssten berücksichtigt werden, jedoch gab er zu bedenken, dass die größere Konkurrenz für die privaten Rundfunkanbieter von anderen Marktteilnehmern und nicht vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausgehe.

Mit abschließenden Worten und Dank an alle Beteiligten, schloss Prof. Cornils die zweistündige Veranstaltung im Anschluss an die Fragerunde.


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In der unübersichtlich gewordenen Informationsangebotslandschaft der Netzwerkgesellschaft sind die Verfügbarkeit, Erkennbarkeit und Durchsetzungskraft verlässlicher Informationen weniger denn je selbstverständlich. Vielmehr muss darum im harten Wettbewerb um Aufmerksamkeit mit Verantwortungsbewusstsein und attraktiven Angeboten gerungen werden. Nimmt man mit dem Bundesverfassungsgericht an, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in besonderer Weise geeignet ist, diese Aufgabe zu erfüllen, gewinnt dieser daraus neue Legitimation. Jedoch stehen die Anstalten mit ihrer organisatorischen Struktur, ihren Angeboten und ihrem Finanzbedarf in der Kritik; auch die Medienpolitik sieht seit Jahren dringenden Reformbedarf. Der neue Anlauf der Länder zu einer Reform steht nun dem Vernehmen nach im Hinblick auf eine Neuformulierung des gesetzlichen Auftrags vor dem Abschluss. Ob es hingegen in einer zweiten Reformstufe auch zu einer Änderung des Beitragsfestsetzungsverfahrens kommen wird, erscheint derzeit noch völlig offen. Jedenfalls müsste eine solche Änderung sich in dem recht engen Rahmen der überkommenen rundfunkverfassungsrechtlichen Vorgaben halten, die das Bundesverfassungsgericht neuerdings ohne jede Abweichung oder Neuakzentuierung bekräftigt hat.   

Über die Reformkonzepte und die Bedeutung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts für die Reformüberlegungen möchten wir im Rahmen der Veranstaltungsreihe Mainz Media Forum diskutieren.

Einladung

Termin: Dienstag, den 19. Oktober 2021 um 17:00 Uhr via ZOOM


Im Gespräch mit Prof. Dr. Matthias Cornils, Direktor des Mainzer Medieninstituts, diskutieren:           

Heike Raab,  
Staatssekretärin in der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz und Bevollmächtigte des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund und für Europa und Medien

Prof. Dr. Christian von Coelln,
Universität zu Köln, Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Wissenschaftsrecht und Medienrecht

Prof. Dr. Kai Gniffke,  
Intendant des Südwestrundfunks (SWR)

Claus Grewenig,  
RTL Deutschland, Bereichsleiter Medienpolitik

Prof. Dr. Jürgen Kühling, LL.M.,
Universität Regensburg, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Immobilienrecht, Infrastrukturrecht und Informationsrecht


Die Veranstaltung wurde als Online-Video-Konferenz durchgeführt.