BVerfG: Zeitung muss Zeugenaussage geheim halten

Die Bild-Zeitung ist mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Köln zur Geheimhaltungspflicht bezüglich der Zeugenaussage eines Missbrauchsopfers gescheitert.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 10. November 2023 – 1 BvR 2036/23

Die Verfassungsbeschwerde der Bild-Zeitung richtete sich gegen einen Beschluss des OLG Köln, der es Journalisten untersagt hatte, über die Zeugenaussage eines mutmaßlichen Missbrauchsopfers zu berichten. In dem noch laufenden zivilrechtlichen Ausgangsverfahren hatte ein Geistlicher aus dem Erzbistum Köln die Zeitung auf Unterlassung der Berichterstattung in Anspruch genommen. Die Bild-Zeitung hatte im Jahr 2021 über den Vorwurf gegen den Geistlichen berichtet, nach dem dieser dienstlich befördert worden sei, obwohl der Kardinal von Vorwürfen sexuellen Missbrauchs gegen ihn gewusst habe. Nach der Berichterstattung wurde der Geistliche beurlaubt, aber in einem kirchenrechtlichen Verfahren zwischenzeitlich freigesprochen.

Im betreffenden Berufungsverfahren wollte das Oberlandesgericht einen mutmaßlich Betroffenen als Zeugen vernehmen. Für die Dauer der Vernehmung schloss es die Öffentlichkeit aus und legte den im Gerichtssaal Anwesenden, also auch den anwesenden Pressevertretern, gemäß § 174 Abs. 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) die Verpflichtung auf, Stillschweigen über die Inhalte der Vernehmung zu wahren. Die Bild-Zeitung sah darin eine Verletzung ihrer Pressefreiheit sowie einen Verstoß gegen den in Art. 103 Abs. 2 GG statuierten Bestimmtheitsgrundsatz.

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Da eine Grundrechtsverletzung nicht dargetan werden konnte, sei die Beschwerde unzulässig. Zwar greife eine entsprechende Geheimhaltungspflicht intensiv in die Pressefreiheit der Zeitung ein. Jedoch seien bei der Auslegung und Anwendung von § 174 Abs. 3 GVG keine verfassungsrechtlich relevanten Fehler ersichtlich.

Die Richter des ersten Senats betonten, dass es sich bei der Aufarbeitung sexueller Übergriffe auf Kinder oder Jugendliche in der katholischen Kirche zwar um ein Thema von herausragendem öffentlichem Interesse handele. Dem stehe allerdings gegenüber, dass Prozesse in, aber nicht für die Öffentlichkeit stattfänden. So stünden einer unbegrenzten Öffentlichkeit gewichtige Interessen wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht, der Anspruch der Beteiligten auf ein faires Verfahren sowie die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege, insbesondere die ungestörte Wahrheits- und Rechtsfindung, entgegen. Die Vorschrift des § 174 Abs. 3 GVG verstärke den Betroffenenschutz des § 171b Abs. 1 GVG und ziele auf die Vermeidung von Einschüchterungseffekten.

Soweit die Bild-Zeitung die Geheimhaltungspflicht als zu weit rüge, weil sie nicht auf Tatsachen beschränkt sei, durch die der Zeuge identifiziert werden konnte, sei eine Verletzung der Pressefreiheit ebenfalls nicht dargelegt. Der Zeuge sei, so das Bundesverfassungsgericht, wegen der bereits entstandenen Identifizierbarkeit erneut identifizierbar. Das Oberlandesgericht habe einfließen lassen dürfen, dass der Zeuge mit den geschilderten Ereignissen nicht erneut durch Medienberichterstattung konfrontiert werden soll.

Quellen

Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. November 2023 – 1 BvR 2036/23, abrufbar unter: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2023/11/rk20231110_1bvr203623.html

Beck-aktuell, Missbrauchsvorwürfe: Zeitung darf nicht über Zeugenaussage schreiben, Meldung vom 24. November 2023, abrufbar unter: https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/bverfg-missbrauchsvorwuerfe-zeitung-bleibt-zur-geheimhaltung-ueber-zeugenaussage-verpflichtet

Legal Tribune Online, Gericht darf in Missbrauchsprozess Geheimhaltung verlange, Meldung vom 27. November 2023, abrufbar unter: https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/bverfg-1bvr203623-zeugen-vernehmung-geheimhaltung-missbrauch-kirche-bild-zeitung/