BVerfG: Verfassungsbeschwerde zur Anhaltung von Häftlingspost erfolgreich

Das Bundesverfassungsgericht hat der Verfassungsbeschwerde eines ehemaligen Inhaftierten stattgegeben, die sich gegen die Anhaltung eines Briefs durch die Justizvollzugsanstalt richtete.

BVerfG, Beschluss vom 17. März 2021 – 2 BvR 194/20

Der Brief des Beschwerdeführers aus der Justizvollzugsanstalt im Oktober 2018 war an dessen Großnichte und ehemalige Verlobte adressiert. Er beinhaltete unter anderem beleidigende Äußerungen über einen Vorgesetzten und die Bezeichnung des Freistaats Bayern als „scheiß Nazi- und Bullenstaat Bayern“. Darüber hinaus enthielt er Schilderungen zu seiner Absicht, bei einer Anstaltspsychologin im Rahmen eines psychologischen Fachgesprächs Informationen zu einer ehemaligen Bediensteten einzuholen, für die er ein Interesse hegte. Der Brief wurde daraufhin durch den Anstaltsleiter gestoppt.

Ein Antrag des ehemaligen Inhaftierten gegen die Anhalteverfügung der Justizvollzugsanstalt vor der Strafkammer des Landgerichts Augsburg und eine Rechtsbeschwerde beim Bayerischen Obersten Landesgericht blieben ohne Erfolg. Begründet wurde dies damit, dass die Beleidigungen und Formulierungen in dem Brief die Sicherheit und Ordnung der Anstalt gefährdeten.

Gegen diese beiden Beschlüsse wendete sich der Beschwerdeführer mit einer Verfassungsbeschwerde. Das Bundesverfassungsgericht gab der Verfassungsbeschwerde statt, da die Anhaltung des Briefs den Beschwerdeführer in seiner grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit in Verbindung mit dessen Allgemeinen Persönlichkeitsrechts verletze.

Die Fachgerichte haben die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf Meinungsfreiheit verkannt, das auch den Vertraulichkeitsschutz umfasse. Geschützt ist die vertrauliche Kommunikation mit besonderen Vertrauenspersonen, im Rahmen dessen der oder die Betroffene „ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verhaltenserwartungen und Furcht vor staatlichen Sanktionen verkehren kann“. Hierbei wurde von den Fachgerichten außer Acht gelassen, dass neben der nahen Angehörigkeit von Eltern oder Ehegatten auch ein enges freundschaftliches Verhältnis eine solche besondere Vertrauensbeziehung darstellen kann. Die betreffende Aussage sei daher im Rahmen eines Vertrauensverhältnisses erfolgt, sodass hieran nicht ohne weiteres Sanktionen oder sonstige Eingriffe geknüpft werden könnten. Zudem falle die sogenannte Schmähkritik, bei der nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, nicht von vorneherein aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit heraus.

Überdies sah das BVerfG den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verletzt, da die Gerichte sich mit den konkreten Gründen des Beschwerdeführers zur Darlegung der besonderen Vertrauensbeziehung nicht auseinandergesetzt hätten.

Die Entscheidungen des Landgerichts Augsburg und des Bayerischen Obersten Landesgerichts werden daher aufgehoben. Die Sache wird nun an das Landgericht Augsburg zurückverwiesen.

 

Quellen:

BVerfG, Beschluss vom 17.03.2021- 2 BvR 194/20, abrufbar unter: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2021/03/rk20210317_2bvr019420.html

Pressemitteilung Nr. 26/2021 des BVerfG vom 14.04.2021, abrufbar unter: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-026.html