BVerfG: Entschädigungsansprüche nicht vererblich

Im Streit um Geldentschädigung und Unterlassung ist die Witwe und Alleinerbin des verstorbenen Ex-Bundeskanzlers Kohl vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gescheitert. Das Gericht nahm ihre Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung an und bestätigte damit die Entscheidung des BGH.

BVerfG, Beschlüsse vom 24. Oktober 2022 – 1 BvR 19/22, 1 BvR 110/22

Im Jahr 2014 erschien das Buch „Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle“. Es enthält Äußerungen des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl aus aufgezeichneten Gesprächen, die der Historiker und Journalist Heribert Schwan als Ghostwriter mit Kohl geführt hatte, um die Memoiren des Altkanzlers zu verfassen. Kohl klagte auf Unterlassung der Veröffentlichung und Verbreitung von 116 Passagen.

Während des Berufungsverfahrens starb Kohl. Seine Witwe und Alleinerbin, Maike Kohl-Richter, führte den Rechtsstreit fort. Sowohl das Oberlandesgericht (OLG) Köln als auch der Bundesgerichtshof (BGH) verneinten einen Anspruch auf Geldentschädigung. Begründung: Geldentschädigungsansprüche sind grundsätzlich nicht vererblich. Die dem Verlag vom zuständigen Landgericht (LG) auferlegten Unterlassungspflichten schränkten OLG und – noch weitergehend – BGH ein, da das postmortale Persönlichkeitsrecht nur einen geringeren Schutz böte. Kohl-Richter wandte sich mit zwei Verfassungsbeschwerden an das BVerfG, da sie Kohl in seinem postmortalen Persönlichkeitsrecht und sich selbst in ihrem Eigentumsrecht verletzt sah.

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen. Hinsichtlich der Unterlassungsklage sei die Beschwerde Kohl-Richters nicht hinreichend begründet. Die Schutzwirkungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das nach dem Tod nicht fortwirke, seien mit dem den über den Tod hinaus fortbestehenden Schutz der Menschenwürde nicht identisch. An einer Menschenwürdeverletzung fehle es aber, da durch die freiwillige Preisgabe der Erinnerungen gegenüber dem Journalisten Schwan nicht der innerste Kern der Persönlichkeit Kohls betroffen sei. Die angegriffenen Urteile seien nicht zu beanstanden, so die 1. Kammer des Ersten Senats.

Das gelte auch bezüglich der Versagung der Geldentschädigung durch OLG und BGH. Es gebe keinen verfassungsrechtlichen Grundsatz, nach dem eine Verletzung der Menschenwürde stets einen Entschädigungsanspruch nach sich ziehen müsse. Beide Gerichte hätten ihre Entscheidungen damit begründet, dass der Geldentschädigungsanspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Grundsatz unvererblich sei. Das gelte auch dann, wenn der Anspruch im Todeszeitpunkt des Betroffenen bereits bei Gericht anhängig oder gar rechtshängig sei. Die grundsätzliche Unvererblichkeit ergebe sich entscheidend aus der Genugtuungsfunktion des Anspruchs. Dass der Geldentschädigungsanspruch auch der Prävention diene, gebiete das (Fort-)Bestehen eines solchen Anspruchs nach dem Tode auch nicht aus dem Aspekt der Menschenwürde. Dem begegneten keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Aus der Garantie der Menschenwürde folgt laut BVerfG keine Pflicht der Zivilgerichte, das persönlichkeitsrechtliche Sanktionensystem auszuweiten. Einer Ausweitung bedürfe es jedenfalls dann nicht, wenn es andere Möglichkeiten zum Schutz der postmortalen Menschenwürde gebe, wie bestehende Unterlassungsansprüche.

 

Quellen

BVerfG, Pressemitteilung Nr. 108/2022 vom 15. Dezember 2022, abrufbar unter:
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/bvg22-108.html

Beck aktuell, Keine Geldentschädigung für Kohls Witwe, Meldung vom 15. Dezember 2022, abrufbar unter: 
https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/bverfg-keine-geldentschaedigung-fuer-kohls-witwe

LTO, Entschädigungsansprüche sind nicht vererblich, Meldung vom 15. Dezember 2022, abrufbar unter:
https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/bverfg-witwe-helmut-kohl-allgemeines-persoenlichkeitsrecht-kohl-protokolle-entschaedigung-geld/