BGH: Zustellung an soziales Netzwerk nach NetzDG

Ob an den von einem sozialen Netzwerk benannten inländischen Zustellungsbevollmächtigten zugestellt werden kann, hängt laut BGH maßgeblich davon ab, aus welchem Grund der Anbieter eine Löschung von Inhalten oder Account-Sperrung veranlasst hat oder veranlassen soll. Anknüpfungspunkt sei die Annahme rechtswidriger Inhalte im Sinne des NetzDG.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10. November 2022 – I ZB 10/22

Dem Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) liegt folgender Fall zugrunde: Die Anbieterin eines in Irland ansässigen sozialen Netzwerks hatte den Beitrag eines privaten Nutzers gelöscht und seinen Account wegen angeblichen Verstoßes gegen Hassrede-Standards gesperrt, indem sie diesen für 30 Tage in den sog. Read-only-Modus versetzte. Dagegen zog der Nutzer vor Gericht.

Im August 2021 untersagte das Landgericht (LG) Bonn dem Unternehmen einstweilen, den Kommentar des Nutzers zu löschen und sein Profil zeitlich befristet zu sperren. Die entsprechende Beschlussverfügung ließ der Nutzer Anfang September einer Berliner Kanzlei – zunächst im Parteibetrieb von Anwalt zu Anwalt, dann per Gerichtsvollzieher – zustellen, die von der Anbieterin des Netzwerks als inländische Zustellungsbevollmächtigte nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) benannt worden war. Weil die Kanzlei zu diesem Zeitpunkt aber für das konkrete Verfahren noch nicht bevollmächtigt war, wies sie beide Zustellungen zurück. Erst im Oktober 2021 wurde der Beitrag des Nutzers wiederhergestellt und – nach Ablauf der 30 Tage – der Account entsperrt. Das LG verhängte deswegen ein Ordnungsgeld nach § 890 Abs. 1 ZPO.

Das Oberlandesgericht (OLG) Köln kassierte den Ordnungsgeldbeschluss mit der Begründung, dass es für die Zeit der Sperre und der unterbliebenen Wiederherstellung des Kommentars an einer wirksamen Zustellung gefehlt habe.

Die darauffolgende Rechtsbeschwerde des Nutzers beim BGH hatte zunächst Erfolg, zur weiteren Klärung verwies der I. Zivilsenat die Sache an das OLG zurück. Die Begründung der fehlenden Zustellung überzeuge laut BGH nicht. Zwar hätte die Kanzlei die Unterlagen mangels Bestellung nicht als Prozessbevollmächtigte entgegen nehmen müssen. Entgegen der Ansicht des OLG Köln komme aber eine wirksame Übersendung an sie als Zustellungsbevollmächtigte nach § 5 Abs. 1 S. 2 NetzDG in Betracht. Die Vorschrift sei von Anfang an auf Verfahren bezüglich der Beseitigung bestimmter rechtswidriger Inhalte anwendbar gewesen.

Der Gesetzgeber habe mit der Neuregelung vom 28. Juni 2021 klargestellt, dass diese Art der Zustellung auch bei Streitigkeiten um die Wiederherstellung von Kommentaren oder die Entsperrung von Konten in Betracht komme – allerdings nur, soweit das Handeln auf der Annahme rechtswidriger Inhalte im Sinne des § 1 Abs. 3 NetzDG beruhe. Das NetzDG habe aber keine generelle Zustellmöglichkeit losgelöst von rechtswidrigen Inhalten schaffen wollen.

Die Darlegungs- und Beweislast für die wirksame Zustellung einer Beschlussverfügung liege, so der I. Zivilsenat, beim Gläubiger. Das gelte auch für die Voraussetzungen einer Zustellung nach § 5 Abs. 1 S. 2 NetzDG. Nach Auffassung der Karlsruher Richter besteht diese Darlegungslast aber nur eingeschränkt, da die Motive des Anbieters für den Gläubiger unter Umständen nur schwer erkennbar oder belegbar seien. Somit sei es seitens des Gläubigers ausreichend, tatsächliche Anhaltspunkte vorzutragen, aufgrund derer ein verständiger Dritter ernsthaft in Erwägung ziehen würde, dass das Unternehmen von der Verbreitung rechtswidriger Inhalte ausgegangen sei. Die Netzwerkbetreiberin, die alle Umstände kennt, treffe dann eine sekundäre Darlegungslast für ihre Behauptung, eine die Zuständigkeit des Bevollmächtigten auslösende Annahme der Verbreitung rechtswidriger Inhalte sei nicht Verfahrensgegenstand.

 

Quellen

BGH, Beschluss vom 10. November 2022 – I ZB 10/22, veröffentlicht am 11. Januar 2023, abrufbar unter:
https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/list.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288

Beck-aktuell, Zustellung an soziales Netzwerk nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz, Meldung vom 11. Januar 2023, abrufbar unter:
https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/bgh-zustellung-an-soziales-netzwerk-nach-dem-netzwerkdurchsetzungsgesetz