Rückblick: Mainz Media Forum – Medienberichterstattung in Krise und Krieg

Seit dem 24. Februar 2022 ist der Krieg in der Ukraine in deutschen Medien allgegenwärtig und stellt die Berichterstattung vor bisher ungekannte Herausforderungen. Aus diesem drängenden Anlass diskutierte Prof. Dr. Matthias Cornils, Direktor des Mainzer Medieninstituts, am 28. April 2022 mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und journalistischer Praxis über die Verantwortung der Medien und die Rolle des Rechts in einem „Informationskrieg“. Im Fokus des Mainz Media Forum standen die Mechanismen und die völkerrechtliche Behandlung von Kriegspropaganda, die EU-Sanktionen gegenüber russischen Staatsmedien sowie der Umgang mit Informationen und Bildern aus dem Krieg.

Im Rahmen der Online-Veranstaltung diskutierten Alexandra von Nahmen, Leiterin des Studios Brüssel der Deutschen Welle, Mandy Ganske-Zapf, freie Journalistin und Redakteurin bei der Internetplattform dekoder.org, Prof. Dr. Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes sowie Prof. Dr. Udo Fink, Völker- und Medienrechtler an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Einen eindrücklichen Einstieg boten die Schilderungen von Alexandra von Nahmen, die über langjährige Erfahrung als Korrespondentin der Deutschen Welle für Russland und die Ukraine verfügt. Bis wenige Tage vor der Veranstaltung hatte sich die Journalistin als Kriegsreporterin in der Ukraine befunden und konnte aus erster Hand von den Herausforderungen der journalistischen Arbeit vor Ort berichten. Die permanente Gefahr durch mögliche Angriffe und die Gespräche mit traumatisierten Zeugen von Verbrechen und Gewalt in Orten wie Butscha, Borodjanka und Tschernihiw, machten den Einsatz als Reporterin anstrengend und emotional aufwühlend.

Prof. Überall betonte die Relevanz journalistischer Professionalität, um unter solch schwierigen Bedingungen zuverlässige Informationen zu liefern. Qualitätsjournalismus setze auch und gerade in Krisenzeiten eine hohe Expertise voraus, die finanziert werden müsse, wozu es allerdings oftmals an Bereitschaft fehle.

Dem deutschen Publikum Einsichten in den russischen Informationsraum zu ermöglichen, hat sich die Online-Plattform dekoder.org zur Aufgabe gemacht, deren Arbeit Redakteurin Mandy Ganske-Zapf vorstellte. Die Plattform übersetzt insbesondere Texte unabhängiger russischer und belarussischer Medien ins Deutsche und bietet zudem wissenschaftliche Hintergründe. Allzu viele unabhängige Medien seien in Russland wegen der dortigen Repressionen nicht verblieben, berichtete Ganske-Zapf. Es entwickelten sich jedoch russische Exilmedien. Die Journalistin wies hinsichtlich der Erreichbarkeit der russischen Bevölkerung darauf hin, dass dies keine bloße Frage des Zugriffs auf Medieninhalte sei. Vielmehr habe die jahrelange repressive Politik des Putin-Regimes eine Abkopplung der russischen Gesellschaft vom politischen Betrieb erwirkt, weil Menschen die Erfahrung machten, dass Einmischung zu Problemen führe.

Prof. Fink beleuchtete mit einer Einordnung von Kriegsberichterstattern im humanitären Völkerrecht den Aspekt der Sicherheit von Journalisten. Während freie Journalisten völkerrechtlich wie Zivilisten behandelt würden, erhielten bei Streitkräften akkreditierte Reporter, so genannte „embedded journalists“, bei Gefangennahme den Status eines Kriegsgefangenen. Journalisten, die „eingebettet“ arbeiteten, seien jedoch nicht unbedingt sicherer, sondern könnten Opfer von völkerrechtlich zulässigen Angriffen auf die Streitkräfte, die sie begleiten, werden.

Im Zuge der Erörterung von Herausforderungen eines „Informationskrieges“ erläuterte Prof. Fink, dass Kriegspropaganda grundsätzlich völkerrechtlich nicht verboten sei, sondern vielmehr eine Kriegslist darstelle. Eine Grenze sei jedoch dann erreicht, wenn bei der Verbreitung von Kriegspropaganda zwingende Regeln des Völkerrechts verletzt würden, z.B. im Fall einer Nichtachtung der Menschenwürde oder der Aufforderung zur Begehung von Kriegsverbrechen. Vor diesem Hintergrund unterstrich Prof. Überall die Bedeutung der Filterfunktion des Journalismus für die demokratische Gesellschaft. Da im Krieg staatliche Stellen häufig nicht mehr als so genannte „privilegierte Quellen“ eingestuft werden könnten, denen man ein gewisses Mindestmaß an Glaubwürdigkeit zubilligen dürfte, entstünden für Journalisten ganz neue Herausforderungen. Hier befinde man sich in einem fortdauernden Lernprozess. Im Umgang mit propagandistischen Inhalten plädierte Ganske-Zapf deswegen für eine hinreichende Kontextualisierung des Materials. So könne es zwar sinnvoll sein, eine demagogische Rede aufgrund ihrer zeitgeschichtlichen Bedeutung eins zu eins wiederzugeben. Dies müsse in deutschen Medien jedoch mit einer kritischen Einordnung geschehen.

Mit Blick auf die Sanktionen der Europäischen Union, die auch Verbreitungsverbote für russische Staatsmedien umfassen, äußerten Prof. Cornils und Prof. Fink Zweifel an der Regelungskompetenz der EU. Prof. Überall gab zu bedenken, Sendeverbote im Rahmen von Wirtschaftssanktionen könnten zur Blaupause geraten, um unliebsame Journalisten mundtot zu machen. Dagegen betonte Alexandra von Nahmen, auch ein Verbot der Sendetätigkeit könne als Mittel wehrhafter Demokratie geboten sein, wenn der journalistische Versuch, Propaganda und Manipulation mit Aufklärung entgegenzuwirken, an seine Grenzen stoße.

Eine zentrale journalistische Herausforderung stellt auch die verantwortungsvolle Visualisierung des Kriegsgeschehens dar. Prof. Fink wies in Bezug auf die rechtliche Zulässigkeit der Veröffentlichung von Kriegsbildern darauf hin, dass bei der Darstellung von persönlichem Leid stets sorgfältig zwischen dem öffentlichen Berichterstattungsinteresse einerseits und den Persönlichkeitsrechten der Betroffenen andererseits abgewogen werden müsse. Prof. Überall bestätigte, dass derartige Abwägungsfragen aktuell auch die Diskussionen in deutschen Redaktionen sowie im Deutschen Presserat prägten. Nach seiner Wahrnehmung würde diese schwierige Abwägung gegenwärtig maßvoll vorgenommen. Bei der Berichterstattung vor Ort sei nach Alexandra von Nahmen eine enge Zusammenarbeit mit der Redaktion unerlässlich, da man gemeinsam über das gesammelte Material reflektieren müsse. Maßgebend sei die Frage, welchen Zweck eine Veröffentlichung erfüllen soll.

Im Rahmen der Öffnung der Diskussion für das Publikum wurde das Phänomen der so genannten „Warfluencer“ – also Influencer, die sich zum Krieg äußern und teilweise Partei für Russland ergreifen – angesprochen. Prof. Roland Bornemann wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass ein solches Verhalten gegebenenfalls nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag als Ordnungswidrigkeit geahndet werden könne.

Prof. Dr. Mark Cole regte zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Frage an, ob in Bezug auf Kriegspropaganda die Ideen eines „free flow of information“ und des tendenziellen Vorrangs von Meinungsfreiheit beizubehalten seien oder ob nicht die Einhaltung grundsätzlicher Kommunikationsregeln als Bedingung für Sender gelten müsse, um Inhalte verbreiten zu dürfen. Unterstützend wies Prof. Fink darauf hin, dass zwischen Meinungsäußerungen und Tatsachenbehauptungen zu unterscheiden sei und dass Lügen, die nachweisbar falsch sind, keinen Schutz genössen.

Die Frage aus dem Publikum, wie man in Deutschland lebende russischstämmige Menschen, die der Propaganda glaubten, erreichen könne, beantworteten Prof. Überall und Ganske-Zapf mit einem Hinweis auf die Bedeutung persönlicher Gespräche als Aufgabe der Zivilgesellschaft. Zudem könnten russischsprachige Angebote deutscher Medien ein Weg sein, so Ganske-Zapf.

Prof. Cornils sprach zum Schluss der Veranstaltung noch die Rolle der großen Online-Plattformen an und stellte die Frage, ob es eine stärkere Einhegung der Kuratierungsspielräume der privaten Betreiberunternehmen brauche. Die Argumentation der Plattformen, man sei lediglich neutraler Inhaltevermittler, sei jedenfalls nicht tragfähig, befand Prof. Überall. Algorithmen, die Emotion den Vorzug vor Information geben, stellten ein gesellschaftliches Problem dar.

Mit Dank an Publikum und Diskutanten schloss Prof. Cornils eine Diskussion, die von der Dramatik der Ereignisse in der Ukraine geprägt war und deutlich werden ließ, wie vielfältig die Herausforderungen für Medienberichterstattung in Kriegs- und Krisenzeiten sind. 

_____________________________________________________________________________________________

Wahrheit gegen Propaganda - Medienberichterstattung in Krise und Krieg

Informationen sind ein entscheidender Faktor im Krieg. Während die Ukraine von Russland angegriffen wird, ist die Weltöffentlichkeit auf zuverlässige Nachrichten angewiesen, um sich ein realistisches Bild von den Geschehnissen zu machen.

Zugleich werden die Bedingungen für Berichterstattung immer widriger. Journalistinnen und Journalisten begeben sich in Lebensgefahr, wenn sie von den Kriegsschauplätzen in der Ukraine berichten. Und auch in Russland verschlechtern sich die Arbeitsbedingungen. Aufgrund eines neuen Mediengesetzes ist die Berichterstattung von dort nur eingeschränkt möglich, bei Verwendung bestimmter Begrifflichkeiten drohen hohe Strafen. Der Deutschen Welle erteilte die russische Regierung schon vor Beginn der Invasion ein Sendeverbot, ARD und ZDF schlossen wegen der drohenden Repressionen zwischenzeitlich ihre Studios in Moskau.

Welche Möglichkeiten bleiben für die Berichterstattung aus diesen Gebieten und wo setzen Sicherheitsbedenken journalistischer Arbeit Grenzen? Lassen sich andere sichere Wege finden, um Nachrichten zu verifizieren und Kontakt zu den Menschen vor Ort zu halten? Welche Rolle spielen die sozialen Medien, die von einer Flut an Bildern und Berichten durchströmt werden? Und bietet das Völkerrecht Schutz vor Desinformation und Medienrepression?

Drängende Fragen angesichts erschreckender Ereignisse – wir möchten darüber diskutieren.

Donnerstag, den 28. April 2022, 17:00 bis 19:00 Uhr.
Die Veranstaltung wird als Online-Video-Konferenz via Zoom durchgeführt.

Einladung

Eine Anmeldung ist erforderlich:
Bitte melden Sie sich bis zum 26. April an über: anmeldung@mainzer-medieninstitut.de


Im Gespräch mit Prof. Dr. Matthias Cornils, Direktor des Mainzer Medieninstituts, diskutieren:           

Alexandra von Nahmen, Leiterin des Studio Brüssel der Deutschen Welle und Korrespondentin in der Ukraine (anstelle von Peter Limbourg)

Prof. Dr. Udo Fink
Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht,
Internationales Wirtschaftsrecht, JGU Mainz

Mandy Ganske-Zapf
Freie Journalistin und Redakteurin bei dekoder.org

Prof. Dr. Frank Überall
Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes (DJV)