Rückblick: 21. Mainzer Mediengespräch: Medienschaffende unter Beschuss

Zum aktuellen Thema „Medienschaffende unter Beschuss – Welche Maßnahmen sind nötig, um Hass und Gewalt wirksam entgegenzutreten?“ diskutierten am 1. Juli 2021 im Rahmen des diesjährigen Mainzer Mediengesprächs Dunja Hayali, Journalistin und Fernsehmoderatorin, ZDF, Markus Hartmann, Oberstaatsanwalt und Leiter der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime NRW, Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, Prof. Dr. Louisa Specht-Riemenschneider, Universität Bonn, und Prof. Dr. Elke Wagner, Universität Würzburg. Moderiert wurde die virtuelle Veranstaltung von Eva Lindenau, Programmgeschäftsführerin von phoenix. Die Teilnehmenden tauschten sich im Rahmen der zweistündigen Veranstaltung über die verschärfte Situation für Journalistinnen und Journalisten in Deutschland aus, die sich zunehmend Hass und Gewalt auf Demonstrationen und im Netz gegenübersehen. Im Fokus stand hierbei die Frage, welche tatsächlichen und rechtlichen Schritte erforderlich sind, um den Schutz von Medienschaffenden zu verbessern.

Zunächst begrüßte Prof. Dr. Matthias Cornils, Direktor des Mainzer Medieninstituts, die knapp 90 Teilnehmerinnen und Teilnehmer und gab einen kurzen Überblick zum Thema der Veranstaltung. Als Einstieg gewährte sodann Dunja Hayali im Gespräch mit Eva Lindenau einen spannenden und zugleich erschreckenden Einblick in den Alltag einer Journalistin. Hayali schilderte unter anderem ihre Erfahrungen mit den täglichen Übergriffen im Netz und auf der Straße und hob hervor, dass dabei nicht nur sie selbst verbal angegriffen, sondern auch ihre Familie bedroht wird. Bedingt durch diese Umstände sei es in vielen Situation nur mit Sicherheitspersonal möglich, der journalistischen Tätigkeit nachzugehen. Dennoch sei es wichtig, mit allen gesellschaftlichen Gruppen den Diskurs zu suchen und dabei „verstehen zu wollen, ohne Verständnis zu haben.“ Im Gespräch müsse unter anderem darüber aufgeklärt werden, wie Medienschaffende arbeiten. Zudem sei eine offene Fehlerkultur wichtig. Als besonders einschneidendes Erlebnis bezeichnete Hayali die Demonstrationen und Ausschreitungen in Chemnitz, bei der sie mit Drohungen konfrontiert wurde und es kaum Diskurs-Bereitschaft seitens der Demonstrierenden gab. Im Umgang mit solchen Angriffen müsse jede Person ihren eigenen Weg finden, sei es mit Humor, Sarkasmus oder einer bloßen Gegenfrage. Hayali betonte, dass die Diskussions- und Streitkultur verbessert werden müsse, wobei der Diskurs insbesondere nicht den Lauten und Hasserfüllten überlassen werden dürfe. Stattdessen sei es wichtig, dass die Gesellschaft wieder zusammenfinde.  

In der anschließenden Diskussionsrunde gab Christian Mihr Aufschluss über die Hintergründe der Herabstufung der Pressefreiheit in Deutschland von „gut“ auf „zufriedenstellend“ und umriss den Maßnahmenkatalog des mit Journalistenverbänden erarbeiteten „Kodex für Medienhäuser“. In diesem Zusammenhang erläuterte er, dass besonders die Anzahl tätlicher Angriffe das Ranking beeinflusse und sich die Zahl der Übergriffe in Deutschland 2020 verfünffacht habe. Nicht zu unterschätzen sei außerdem die hohe Dunkelziffer der Angriffe. Es handele sich dabei nicht nur um eine deutsche, sondern eine europäische Entwicklung. Mihr hob besonders hervor, dass Einschränkungen der Pressefreiheit in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern nicht vom Staat, sondern vor allem von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen. Zudem habe sich vor allem im vergangenen Jahr gezeigt, dass die Polizei bei Demonstrationen häufig überfordert ist und daher Schulungen nötig seien, um das Personal gegenüber den Rechten der Medienschaffenden zu sensibilisieren.

Den gegenwärtigen rechtlichen Rahmen bei tätlichen und verbalen Angriffen gegen Medienschaffende erläuterte Prof. Dr. Louisa Specht-Riemenschneider. Sie wies darauf hin, dass die Presse- und Meinungsfreiheit in Deutschland einen sehr hohen Stellenwert einnehme. Bei der (vermeintlichen) Ausübung der Meinungsfreiheit müsse allerdings auch beachtet werden, dass dabei Rechte anderer eingeschränkt werden. Das betreffe sowohl Medienschaffende in Ausübung ihrer Pressefreiheit als auch andere Personen, die sich etwa aus dem Diskurs zurückziehen (Selbstzensur) oder psychische Beeinträchtigungen davontragen. Dieser Einfluss und die Auswirkungen auf die Diskussionskultur müssten stärker in den Blick genommen werden. Außerdem merkte Specht-Riemenschneider an, dass bei der Abwägung von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht dem Persönlichkeitsrecht mehr Bedeutung beigemessen werde. Dies gelte in Teilen auch für die Rechtsprechung: Eine harte Diskussion und scharfe Kritik sei wichtig, aber dennoch müsse die „rote Linie“ klar aufgezeigt werden.

Prof. Dr. Elke Wagner gab aus soziologischer Sicht zu bedenken, dass soziale Netzwerke zwar einen großen Einfluss auf die Diskussionskultur haben, aber auch andere Aspekte, wie gesellschaftliche Umbrüche einbezogen werden müssen. Beispielsweise zeige sich in der Hassrede gegenüber Medien, dass damit eine etablierte Sprechersituation in der Gesellschaft kritisiert werde.

Im Rahmen der Diskussion bezog Markus Hartmann aus praxisnaher Sicht Stellung und ging hierbei insbesondere auf die Schwierigkeiten bei der Strafverfolgung im Internet ein. Verbesserungswürdig seien vor allem die prozessualen Regeln und die internationale Strafverfolgung, um effektiver vorgehen zu können. Hier gebe es noch Stellschrauben, die wirksamer bedient werden müssten. Hartmann erläuterte, dass die Masse und teilweise auch die Qualität der Übergriffe vor allem durch ein organisiertes Vorgehen zugenommen habe. Es sei aber kein einzelner Tätertypus auszumachen, es zeige sich vielmehr ein sehr diffuses und breites Bild. Zudem betonte er, dass Hass vor Hasskriminalität beginne und die Strafverfolgung allein das Problem nicht lösen, jedoch einen äußerst wichtigen Beitrag leisten könne.

Hinsichtlich der Schwierigkeiten der Rechtsdurchsetzung wurde die Frage der pseudonymen Nutzung von sozialen Netzwerken unter dem Schlagwort der Klarnamenpflicht diskutiert. Wagner merkte an, dass die Anonymität im Netz ein Umfeld herstelle, dass Hasskommunikation zumindest befördere. Specht-Riemenschneider führte daher aus, dass die Anonymität zwar ihre Berechtigung habe, aber im Bereich der Verfolgung von Persönlichkeitsrechtsverletzungen problematisch sei. Dazu gab Hartmann zu bedenken, dass zunächst versucht werden sollte, bestehende Möglichkeiten, etwa im Hinblick auf die Zuordnung von IP-Adressen anzupassen und das prozessuale Vorgehen zu verbessern, bevor aufgrund einer relevanten, lauten Minderheit auch die Mehrheit eingeschränkt werde. Eine Möglichkeit wurde darin gesehen, dass Personen zwar nicht öffentlich mit Klarnamen agieren müssen, aber eine Anmeldung mit Klarnamenpflicht durchgesetzt wird, die eine Verfolgbarkeit ermöglichen könnte. Specht-Riemenschneider warf in diesem Zusammenhang einen kritischen Blick auf den erschwerenden Umstand, dass es bislang im Persönlichkeitsrecht, anders als im Urheberrecht, an einem Auskunftsanspruch gegen den Access-Provider im Hinblick auf die Herausgabe der IP-Adressen fehle.

Ein besonders fokussiertes Thema war das Community Management auf sozialen Netzwerken. So wies Hayali auf die Verantwortung für Kommentarspalten und die Wichtigkeit einer Kontrolle und Moderation der Kommentare von Nutzerinnen und Nutzer hin. Wagner berichtete aus ihrer Forschung, dass die Moderation sehr kontextabhängig sei und kritisierte deshalb die Pläne von Facebook, vermehrt Algorithmen zur Moderation einzusetzen. In diesem Zusammenhang wurde die Rolle der Plattformen selbst thematisiert. Einigkeit bestand bei allen Beteiligten, dass Plattformen stärker in die Pflicht genommen werden müssen und einfachere Meldemechanismen erforderlich sind. Hierbei könnte KI unterstützen, durch die kontextabhängige Beurteilung brauche es aber vor allem geschultes Personal, das die Äußerungen prüft. Offen blieb hingegen die Frage, ob die Plattformen rechtsverletzende Inhalte unverzüglich runternehmen und erst im Anschluss prüfen oder sie diese zunächst unangetastet lassen müssen und demnach erst nach erfolgter Prüfung verpflichtet sind, die betreffenden Inhalte zu entfernen.

Neben den bestehenden Problemen wurde auch darüber gesprochen, dass es bereits jetzt Initiativen und Unterstützung für Medienschaffende gibt. Neben dem neuen „Medienkodex“ wies Mihr darauf hin, dass es in Deutschland starke Gewerkschaften gebe, die sich für Journalistinnen und Journalisten einsetzen. Auch gebe es Unterstützungsangebote, um beispielsweise Meldesperren einrichten zu lassen. Zwar bestehe dabei immer noch ein relativ hoher Begründungsaufwand, jedoch sei die Situation auf politischer Ebene schon verbessert worden. Außerdem berichtete Hayali davon, dass sich auch bei den Sendern einiges getan hat. So gibt es etwa Unterstützungsangebote, um gegen rechtswidrige Äußerungen und Bedrohungen vorzugehen.

Im Anschluss an die Diskussionsrunde hatten alle Teilnehmenden die Möglichkeit, Stellung zu nehmen oder Fragen zu stellen. Hier wurde von Peter Weber (Justiziar, ZDF) noch einmal das Problem der Rechtsdurchsetzung angesprochen. Aus eigener Erfahrung habe er den Eindruck, dass noch immer über 90% der gemeldeten Fälle aufgrund der fehlenden Greifbarkeit der Täterinnen und Täter eingestellt werden, was sehr frustrierend sei. Außerdem bekräftigte Prof. Dr. Dieter Dörr die Sicht von Specht-Riemenschneider, dass die Rechtsprechung bei der Abwägung von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht mehr gefordert sei und etwa die Künast-Beschlüsse in eine „fatale Richtung“ gingen. Angestoßen durch eine Frage von Anja Dittrich (Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung, Hannover) betreffend Angriffe auf die journalistische Professionsethik wurde darüber diskutiert, dass Medienschaffende täglich vor dem Problem stehen, dass sie auf Ereignisse und das öffentliche Interesse reagieren müssen und dabei gezwungen werden, sehr schnell zu reagieren, sodass wenig Zeit für die Recherche verbleibe. Es entstand ein reger Austausch, der neue Sichtweisen und interessante Lösungsansätze hervorbrachte. Mit abschließenden Worten und Dank an alle Beteiligten wurde das 21. Mainzer Mediengespräch im Anschluss an die Fragerunde von Prof. Cornils beendet.

__________________________________________________________________________________________________________

Welche Maßnahmen sind nötig, um Hass und Gewalt wirksam entgegenzutreten?

Umfassende und vielfältige Informationen sind in Zeiten von Fake News und Verschwörungstheorien so wichtig wie nie zuvor. Gleichzeitig sehen sich Vertreter der Medien derzeit sowohl verbalen als auch tätlichen Angriffen in einem nie dagewesenen Ausmaß ausgesetzt. Hass und Hetze in den sozialen Medien, in E-Mails und auf der Straße haben Formen angenommen, die eine reale Bedrohung der Journalistinnen und Journalisten bedeuten und diese inzwischen erheblich in ihrer Arbeit einschränken. Der Schutz der Betroffenen wird häufig durch die Anonymität der Angreifenden im Internet erschwert, die eine strafrechtliche Verfolgung in vielen Fällen unmöglich macht.

Wie steht es faktisch um die Freiheit der Medien und der Presse in Deutschland? Wie können Medienschaffende besser geschützt werden? Brauchen wir andere rechtliche Regelungen oder mangelt es (nur) an der Durchsetzung? Muss ein Umdenken hinsichtlich der Anonymität im Internet erfolgen?

Wir laden Sie herzlich ein, diese Fragen zu diskutieren.

Einladung

Termin: Donnerstag, 1. Juli 2021 um 17:00 Uhr via ZOOM

__________________________________________________________________________________________________________

begrüssung

Prof. Dr. Matthias Cornils
Direktor des Mainzer Medieninstituts

Hass und Hetze im journalistischen Alltag

Dunja Hayali
Journalistin und Moderatorin

Maßnahmen zum Schutz der Medienschaffenden

Online-Diskussionsrunde mit:

Dunja Hayali
Journalistin und Moderatorin, ZDF

Markus Hartmann
Oberstaatsanwalt, Staatsanwaltschaft Köln,

Leiter der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime NRW

Prof. Dr. Louisa Specht-Riemenschneider
Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Informations- und Datenrecht,

Universität Bonn

Christian Mihr
Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen

Prof. Dr. Elke Wagner
Institut für Politikwissenschaft und Soziologie,
Julius-Maximilians-Universität Würzburg


Moderation

Eva Katharina Lindenau
Programmgeschäftsführerin phoenix